Nocebo

Nocebo

Der Noceboeffekt kann die Gesundheit relevant gefährden.

Als Ärztin, die sich der Macht des Noceboeffektes bewusst ist, habe ich in den letzten Tagen mit wachsendem Unbehagen Meldungen in Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet verfolgt.

Es wird immer und immer wieder mit teils sehr dramatischen Worten vor den Auswirkungen einer Infektion mit Omikron gewarnt, obwohl es mittlerweile sehr wahrscheinlich geworden ist, dass viele von uns in den nächsten Wochen infiziert werden – und es (spätestens jetzt) Zeit wird, nicht durch das Schüren der Erwartung von schweren Verläufen und langanhaltenden Folgeschäden, die Gesundheit und das Leben von Menschen noch mehr zu gefährden.

Der Noceboeffekt, zu dem es aus ethischen Gründen wesentlich weniger Studien als zum Placeboeffekt gibt, ist in der Medizin sehr relevant. Man weiß, dass es beispielsweise in Zulassungsstudien auch bei jenen PatientInnen, die nur das Scheinmedikament erhalten, sehr häufig zu Nebenwirkungen kommt (diese machen – je nach Studie- bis zu 50 % der Nebenwirkungen des „echten Medikamentes“ aus). Weiters ist bekannt, dass (wie z.B. in Aufklärungsgesprächen) erwähnte Nebenwirkung oder Komplikationen durch Schüren einer Erwartungshaltung häufiger auftreten.

Viele neurobiologische Grundlagen des Noceboeffekts sind bekannt. Es kann z.B. über Konditionierung (ähnlich wie beim Pawlowschen Hund) ein/e Patient/in bereits beim Betreten des Krankenhauses Übelkeit verspüren, in dem bereits öfter die Verabreichung einer übelkeitsinduzierenden Chemotherapie stattgefunden hat.

Werden Probanden durch entsprechend Worte aufgeklärt, dass ihnen in Kürze eine schmerzhafte Prozedur bevorsteht, so werden (allein durch die Erwartungsangst) im Gehirn die gleichen Areale aktiviert, wie beim „echten Spüren“ von Schmerz.

Generell weiß man, dass eine pessimistische Lebenseinstellung, Angst, Stress und negative Erwartungshaltungen die Gesundheit drastisch beeinträchtigen können. So konnte in der bekannten Framingham Studie mit tausenden TeilnehmerInnen gezeigt werden, dass bei Frauen, die sich selbst als anfällig für Herzkrankheiten einschätzten, das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden auf das 3,7 fache erhöht war – auch ohne objektive Risikofaktoren.

Aufgrund dieses Wissensstandes wird ÄrztInnen dringend empfohlen, etwa in Aufklärungsgesprächen - unter Anderem - drastische Worte, unnötige Wiederholungen oder das Schüren von Ängsten zu vermeiden. Gerade Letzteres ist oft ziemlich schwierig, da es individuell natürlich sehr unterschiedlich ist, was Angst macht und ÄrztInnen andererseits auch über unangenehme Dinge informieren müssen. Nur dann sind PatientInnen in der Lage, selbst Für und Wider abzuwägen und Entscheidungen zu treffen.

Was bleibt uns also übrig für die nächsten Wochen?

Auf der einen Seite das Wissen, dass der Großteil der Infizierten gut mit dem Coronavirus fertig wird und die Verläufe bei der Infektion mit der Omikronvariante milder sind. Auf der anderen Seite (vielleicht unterstützt durch die Impfung, vielleicht auch nicht, weil Sie sich aus unterschiedlichen Gründen dagegen entschieden haben) das Vertrauen in unseren Körper, der, wenn man genauer darüber nachdenkt, ein faszinierendes Wunderwerk ist und jeden Tag Meisterleistungen vollbringt – wie etwa Schürfwunden innerhalb von Wochen wieder durch gesunde Haut zu ersetzen, Knochenbrüche zu heilen oder täglich unzählige Keime abzuwehren.

Achten Sie auf sich und Ihre Lieben, machen Sie bewusst Dinge, von denen Sie wissen, dass Sie Ihnen gut tun – und vielleicht halten Sie sich in nächster Zeit von Nachrichtenmeldung fern...